Anfang der 1970er Jahre bauen Max und Jenny Jaeger die Papeterie von Max’ Eltern zum Kopiergeschäft aus. Kurz danach verschwinden sie spurlos. Sie lassen ungleiche Zwillingskinder zurück, die 24 Jahre später das Geschäft als «Copyshop Europa» neu eröffnen. Schon bald ist von Falschgeld die Rede und von zwielichtigen Geschäften im Osten. Doch der Kampf um die Vergangenheit wird nicht nur auf Papier geführt. Im Zürcher Familienbetrieb ringt anarchistische Selbstbehauptung mit den Verwerfungen der europäischen Integration.
Was passiert, wenn ein Traditionsbetrieb von einer Generation an die nächste übergeben wird? Wie wird ein Erbe verwaltet und wie konstruiert ist dabei die Erblinie selber? Vor dem Hintergrund dieser Fragen werden die Wechselbeziehungen im sich neu formierenden Europa weitergesponnen und Nationalpolitik auf ihre blinden Flecken hin befragt. «Copyshop Europa» erzählt die Familiengeschichte als Abfolgen von Geschäftsideen, Kopiertechnologien und politischen Bewegungen, die in Konkurrenz zu den Lebensentwürfen der Einzelnen stehen. Die Fälschung von Zugehörigkeit wird zum grundlegenden Prinzip, auf dem auch der Theaterabend selber Soap-Formate und an Plots orientierten Pop-Geschmack persifliert. Nicht zuletzt geht es darum, eine Form zu finden, in der die gesellschaftliche Dimension der europäischen Integration die Bühne heimzusuchen vermag.
Besetzung
Schauspiel: Otto Edelmann, Dominique Jann, Ursula Reiter, Andreas Storm, Suzanne Thommen, Wanda Wylowa | Text, Regie: Tim Zulauf | Bildarbeiten: Yves Netzhammer | Bühne: Monika Schori | Kostüm: Zuzana Ponicanova | Musik: Bernd Schurer | Dramaturgie: Mats Staub | Choreographie: Anne-Christine Gnekow | Lichtgestaltung: Matthias Hiller | Regieassistenz: Sophie Kreutzberg | Produktionsleitung: Lukas Piccolin | Bildumsetzung: Seraina Borner – meinweiss | Statisten: Jörg Fitzner, Katrin Lüthi, Luzius Bühler, Kaspar Wohnlich
Aufführungen
Theaterhaus Gessnerallee, Zürich: 10., 12., 13., 14., 15., 17., 18., 19., 20. und 21. Januar 2007
KMUProduktionen in Koproduktion mit dem Theaterhaus Gessnerallee Zürich
Mit Unterstützung von Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Pro Helvetia, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Kulturstiftung des Kantons Thurgau, Ernst Göhner Stiftung, Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr
Stimmen
« […] Das Sperma geht an Jenny und ihren unfruchtbaren Mann – Ursula Reiter und Andreas Storm mit genial sprödem Spielwitz. Das Gedächtnis veräussert György später, Anfang der Siebziger, in Zeiten von Überfremdungsinitiative und Frauenstimmrechtsdebatte, an Anna, die über den Prager Frühling und den Dritten Weg promoviert und deshalb ‹Kopien Jäger› frequentiert: Wanda Wylowa, eine Könnerin aus dem Zürcher 400- Asa-Clan. Rund um das Geheimnis der Zeugung auf Bestellung kommt es zu Mord und Totschlag und zur Flucht von Jenny und Max hinter den Eisernen Vorhang. Ihre Zwillingsbrut (Kopie der Eltern: wiederum Reiter und Storm) führt Mitte der Neunziger ihren «Copyshop Europa» als Tarngeschäft für Terroranschläge, die samt und sonders in intellektuellen Spitzfindigkeiten verloren gehen. Da hat sich der Autor und Regisseur selbst eine Steilvorlage zum Abheben präpariert: Wer sonst versteht es hierzulande, zum postmodernen Lieblingsthema Kopie und Original, Differenz und Différance so komisch, so trefflich zu texten und trotzdem alles politisch aufzuladen, vom Kalten Krieg bis zur Global-Village-Vision? Es ist zudem ein Fest für Tim Zulaufs Stammkünstler Yves Netzhammer. Er hat für die unheilige Jäger-Familie in unheilvollen Verhältnissen einen grossformatigen Flügelaltar gemalt, samt vielsagenden Schiessscharten. Auf acht Bildtafeln erzählt er vom «Copyshop Europa», von aufeinander gestapelten, zur Verwandlung verdammten Chamäleons beispielsweise, blutend, aufgespiesst von einem Europaflagge-Stern. Für den seriellen Soundtrack zeichnet Bernd Schurer; und dass die Kostüme von Zuzana Ponicanova klug mit Kopie und Zitat arbeiten, versteht sich fast von selbst. Kurz: Alle sind mitgefahren auf Tim Zulaufs kurvigem Weg von der Theorie auf die Bühne, hinein ins Brettervergnügen. Wir auch.» Alexandra Kedves, NZZ, 12.1.2007, S. 52.