Genossenschaft jetzt!

Die Schweiz im Jahr 2020. Rücksichtsloser Steuerwettbewerb verunmöglicht politische Gestaltung. Die Einwohner_innen sind zu Ansammlungen von Konsument_innenprofilen verschmolzen. Kapitalströme suchen nach Anlagemöglichkeiten und trocknen den Liegenschaftsmarkt aus. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage ist angespannt. In dieser Zukunft hat sich eine Vielzahl von Genossenschaften zum teilautonomen «Zeitgenossenschafts-Bund» zusammengeschlossen. Dieser betreibt seine Wirtschafts- und Innenpolitik unabhängig von der Eidgenossenschaft und sorgt in seinen Reihen für sozialen Ausgleich.
In der Kooperativbäckerei «B-Waren», die sich auf einer Industriebrache etabliert hat, diskutieren die Mitglieder allerdings hitzig. Ihre Vorstellungen von Arbeit und der Rolle des Genossenschaftsgedankens driften auseinander. Die geplante Geschäftserweiterung bringt schliesslich ein empfindliches Gleichgewicht zum Kippen: Als der «B-Waren» aufgrund ihrer Brauerei-Erweiterung der Ausschluss aus dem «Zeitgenossenschafts-Bund» droht, muss sie an einer ausserordentliche Generalversammlung entscheiden, wie Allianzen eingegangen werden. Das Publikum stimmt mit ab.
«Genossenschaft jetzt» lässt unterschiedliche Auffassungen von «gemeinschaftlicher Selbsthilfe» aufeinander prallen: Von den Gründungsmythen der Eidgenossenschaft bis zu gescheiterten Modellen genossenschaftlicher Entwicklungshilfe, von monopolistischen Konsumgenossenschaften bis zur Kollektivierung der Bodenrente. Diese Vielzahl von Auffassungen wird von der Überlegung verknüpft, ob und wie Genossenschaften zur internationalen Entwicklung solidarischer Wirtschaftsformen beitragen können. Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise orientiert sich das Projekt am aktuellen Diskussionsstand der Genossenschaftsbewegung. Es stellt die Frage: Kann genossenschaftliches Handeln die Gleichsetzung von Konsument_in und Bürger_in überwinden, oder vertieft es letztlich sogar diese systemische Kontrollfigur?

Besetzung
Schauspiel: Ariane Andereggen, Sascha Gersak, Christoph Rath, Ursula Reiter, Andreas Storm, Wanda Wylowa | Text und Regie: Tim Zulauf | Dramaturgie: Mats Staub | Musik: Bernd Schurer | Bühne: Daniel Robert Hunziker | Kostüm: Zuzana Ponicanova | Licht: Matthias Hiller | Regieassistenz: Carmen Rossi | Produktionsleitung: Lukas Piccolin

Aufführungen
Theaterhaus Gessnerallee, Zürich: 03. Februar 2009 (Premiere), 08., 09., 10. und 11. Februar, Wiederaufnahme 15., 16. und 17. Mai 2009
Tojo Theater Bern: 13., 14. und 15. Februar
Kaserne Basel: 20. und  21. Februar
Transport Festival, Pathos Transport Theater München: 24. Mai, 20.30 Uhr und 22.30 Uhr
Alte Kaserne Winterthur: 28. April 2010
Theater Tuchlaube Aarau: 30. April und 1. Mai 2010
Palace St. Gallen: 2. Mai 2010
Theater am Kirchplatz Schaan: 5. Mai 2010

In Koproduktion mit dem Theaterhaus Gessnerallee Zürich und der Kaserne Basel
Mit Unterstützung von Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur, Kanton Zürich, Kulturstiftung des Kantons Thurgau, Fachausschuss Theater und Tanz BS/BL, Kultur Stadt Bern, Kultur Kanton Bern, Burgergemeinde Bern, Ernst Göhner Stiftung, Familien-Vontobel-Stiftung, GGG Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel, Migros-Kulturprozent

Stimmen
«Zum Schluss bewies der Schweizer Autor und Regisseur Tim Zulauf mit seinem Sci-Fi-Stück Genossenschaft jetzt!, wie Theater wirtschaftliche und politische Probleme thematisieren und Intellekt mit komisch-beklemmender Gruppendynamik aufladen kann.» Abendzeitung München, 26. Mai 2009.
«Anstatt ein Argument gegen ein anderes einzutauschen, meint ein Genossenschafter, gehe es darum, ‹die Argumentationsketten aufzulösen, um sie in ihrer Knetbarkeit zu prüfen›. Genau dies tut der dichte Text des Autors und Regisseurs Tim Zulauf. In einer geistreichen Parodie des genossenschaftlichen Diskurses denkt er die Dinge neu und treibt bekannte Argumente in die skurrile Überhöhung. Mit todernsten Minen reden seine Genossenschafter von ‹kollektiver Entgrenzung› und ‹parastaatlichem Engagement›. Gebannt folgt man dem sprachlichen Marathon, schnappt Ideen auf, möchte darüber nachdenken, kann es aber nicht, weil das Wortgefecht auf der Bühne weiterrast. Nur während der Szenenwechsel können die Worte zu Bernd Schurers technisch knisternden, digital spannungsreichen Klangflächen nachhallen.» BaZ, 7. Februar 2009, S. 7
«Und wer den Autor und Regisseur kennt, der in Zürich seit sechs Jahren Politik in Postdramatik übersetzt, weiss, dass er das Maximus an Witz aus diesen trockenen Diskussionen herauskitzelt und das Maximum an Welthaltigkeit in sie injiziert. Dass das Maximum nicht immer das Optimum ist, macht «Genossenschaft jetzt!» allerdings auch deutlich. Manchmal würde im Verschweigen mehr Bühnenmagie liegen. Zum Glück werden die Wortkaskaden dieser WG-Karikaturen von ihrer Körpersprache grandios konterkariert: Von der Zunge mags fliessen, aber die Arme zucken, die Hände suchen zögerlich nach Halt, die Leiber krümmen sich. Fühlen und Reden sind hier oft genauso entfremdet wie in der verdorbenen Eidgenossenschaft. Das richtige Leben im falschen ist gar nicht so einfach, und Zulauf zeigt uns die Gruppe vor einer Grundsatzentscheidung: Bruch mit der ‹Zeitgenossenschaft› für mehr Freiheit – oder Kuhhandel und Kompromiss? [...] Wir jedenfalls wählen Tim Zulaufs Theater. Zwar ist ihm die Transformation von Theorie und Kritik ins bestechende Bild nicht so gelungen wie etwa in ‹Copyshop Europa›. Aber das coole, kluge Sitzungstheater von ‹Genossenschaft jetzt!› hat eine Härte, die ganz ohne Hübschheiten auskommt.» Tages-Anzeiger, 5. Februar 2009, S. 39
«Wer sich als basisdemokratiegeschädigt betrachtet, wird in dem Stück, in dem tatsächlich vor allem diskutiert wird – und selten auch einmal eine Abstimmung erfolgt, um darüber abzustimmen, ob man nun abstimmen solle – öfter amüsiert auflachen und bisweilen von Erinnerungen gepeinigt sein. Dramatik findet hier nur in den Mikroschnitten des zähen rethorischen Nahkampfs statt, allerdings in verdichteter, pointierter Form. Auf Friede, Freude, Eierkuchen und andere nette Vergnügungen wird in diesem Theater fast durchwegs verzichtet.» NZZ, 7. / 8. Februar 2009, S. 51

Fotos: Luc-François Georgi

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