Post-/Fordismus

Die Videoinstallation «Post-/Fordismus» geht Wechselbeziehungen zwischen industrieller und immaterieller Arbeit nach. Im Zürcher Kreis 5, rund um die ehemalige Schiffbauhalle, hat sich innerhalb von 20 Jahren eine neue Arbeitswelt etabliert. Ihr Mix ist exemplarisch für Länder der Ersten Welt: Industrieunternehmen ziehen aus städtischen Lagen weg in die Agglomeration. Sie hinterlassen Gebäudekomplexe, die für Sub-, Theater- und Opernkultur, Ausbildungs- oder Partyangebote genutzt werden. Finanzkräftige Unternehmen des «dritten» oder «vierte Sektors» mit ihren Kommunikations-, IT-, Gestaltungs- oder Finanzdienstleistungen folgen. Begleitet sind sie von Reinigungs-, Wellness- und Gastrobetrieben. – Aber welche Entwicklungen treiben diese Dienstleistungscluster an? Und mit welcher Rhetorik verschafft sich der «kognitive Kapitalismus» Raum?
Der Film «Post-/Fordismus» wurde mit einfachen Mitteln vor Ort gedreht und in der ersten installativen Form für die Reihe «Espasst» von Mara Züst und Ilya Komarov als Projektion in einem Minivan, nahe der Hardbrücke Zürich, präsentiert. Ineinander montiert sind im Film found footage-Materialien mit eigens inszenierten Sequenzen: Auf drei Schauspieler_innen verteilt finden sich programmatische Texte aus dem Amt für Stadtentwicklung der Stadt Zürich, theoretische Texte zu Phänomenen der immateriellen Arbeit sowie kämpferische Statements von gewerkschaftlicher Seite, mit denen neue Solidarisierungsformen in der flexibilisierten Welt der Angestellten gefordert werden. Die Auseinandersetzung zwischen diesen drei Positionen gipfelt vor den Werkhallen der MAN-Turbo.
Die Sequenzen der found-footage-Materialien wiederum durchqueren Fragen von Stadtentwicklung (etwa anhand einer neuen Tramlinie), und verknüpfen Konzepte für Lebensqualität, Kommunikationsdesign und Invenstmentbanking. Historische Filmsequenzen zeigen darüber hinaus das Innere der Industriehallen, vor denen die Filminstallation gezeigt wurde, und den Schweiz-typischen Arbeitsfrieden zwischen Arbeitgeber- und dem Uhren- und Metallarbeiterverband. Nicht zuletzt blicken sie zurück auf die Entwicklung des Fliessbands und die damit einhergehenden sozialen Veränderungen.
Für die Ausstellung «Seduktion. All You (N)Ever Wanted», kuratiert von Salome Hohl und Linda Lämmle, wurde der Film später so eingerichtet, dass der Monitor, hinter den Scheiben eines ehemaligen Autosalons hängend, von aussen aus Autos betrachtet werden konnte. Nur im Auto, diesem Vehikel fordistischer oder toyotistischer Produktion, war der Ton zum Film, per Radiosender übertragen, letztlich zu hören.

Besetzung
Schauspiel: Andreas Storm, Cathrin Störmer, Birgit Stöger | Regie, Textmontage: Franziska Koch, Tim Zulauf | Kamera: Franziska Koch | Ein situationsbezogener Videofilm von Franziska Koch und Tim Zulauf für «Cinécar Espasst», mobiles Kino im Minivan, von Ilja Komarov und Mara Züst

Videofilm
34 Minuten, Farbe, Ton, 2010/2013

Textausschnitte
Armin Medosch: «Creative Cities. Das Versprechen der kreativen Ökonomie» (2009) | Michael Hardt im Gespräch mit die weisse blatt und betazine (2002) | Hochbaudepartement der Stadt Zürich (Hg.): «Entwicklungskonzept Zürich West. Kooperative Entwicklungsplanung» (2000) | Andreas Rieger: «Die Sieger sind die Banken», In: Workzeitung (2009) | Antonio Negri, Michael Hardt: «Die Arbeit des Dionysos» (1997) | Oliver Fahrni: «Blaukragen, Weisskragen – gleicher Kampf» In: Workzeitung (2009) | Anti-Kapitalismus AG im BgR: «Transformation der Arbeitsgesellschaft. Immaterielle Arbeit als neue Dominante postfordistischer Produktion» (2002) | Remo Aslak Burkhard: «Kreativwirtschaft anderswo. Ein Augenschein in Singapur», In: Stadtblick, Hrsg. Stadtentwicklung Zürich (2009) | Rahel Kamber: «Begegnungsplattform der Kreativwirtschaft. Der ‹Creative Zürich Wednesday› geht ins vierte Jahr», Aus: Stadtentwicklung Zürich (Hg.): Stadtblick (2009)

Filmausschnitte
Stadt Zürich Tiefbauamt: «Für mehr Lebensqualität» (2009) | Erwin Wagenhofer: «Let’s Make Money» (2009) |Edgar Reinhard und blackbox and limelight studios: «Toyota, IBM» (1980er) |Thomas Koerfer: «Der Gehülfe» (1976) | Pro Film, SMUV: «Uns zur Wehr, dem Land zur Ehr» (1962), BBC | Spiegel TV: «Peoples Century. On the Line» (1995)

Ausstellungen
«Cinecar Espasst», 10.03.2010, 20–23 Uhr, Hardbrücke/Schiffbau, 8005 Zürich. Kuratiert von Maya Züst und Ilya Komarov
«Seduktion. All You (N)Ever Wanted» vom 15.11.–08.12.2013, kuratiert von Salome Hohl und Linda Lämmle, im  ION+ Projektraum für Kunst und Sound

Publikation
Salome Hohl, Linda Lämmle (Hgg): «Seduktion. All You (N)Ever Wanted». Jungle Books, Zürich 2015,  ISBN 978-1-12345-678-9

Fotos: Tim Zulauf | Videostills: Franziska Koch | Ausstellungsfotos: Philip Leutert


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